Interviews rund um"Lost And Delirious"

Klicken Sie auf das Interview oder navigieren Sie mit der Bildlaufleiste.

Keine Trauergewächse


Klicken Sie auf das Interview oder navigieren Sie mit der Bildlaufleiste.


»Keine Trauergewächse«


Interview: Kirsten Liese

Wir zitieren von der Seite: http://www.weibblick.de/magazin/feuilleton/inhalt/film.html

">> Comedy dominierte die »Verzaubert«-Festivals der vergangenen Jahre. Nach dem 11. September und dem allseits proklamierten Ende der Spaßgesellschaft wird das pure Unterhaltungsangebot dünner. Sicher nicht zufällig finden sich diesmal einige Produktionen darunter, die bereits im Panorama der Berlinale als Geheimtipp galten. Zum Beispiel »Lost And Delirious« von Léa Pool.

Der seit langem in Kanada lebenden Schweizerin gelingt mehr als einer von hundertfach gesehenen Internatsfilmen. »Lost And Delirious« nach dem Roman »The Wives of Bath« ist ein Drama des Verrats, der unverzeihlichen Enttäuschung, das zwingend in der Tragödie enden muss. Es spielt die an einen Amoklauf grenzenden Versuche einer jungen Frau durch, die Freundin aufzurütteln und zur früheren Vertrautheit zu bekehren.
Léa Pool ist keine Unbekannte in der Szene: Ihren Durchbruch hatte die Regisseurin mit der lesbischen Liebesgeschichte »Anne Trister« (1986). Für »Emporte-moi« (1998) erhielt sie den Schweizer Filmpreis.<<

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Frau Pool, keine Ihrer lesbischen Heldinnen hat Glück in der Liebe. Warum räumen Sie ihnen keine Chance ein?"

[Léa Pool]: “Das Scheitern der Liebe ist ein zentrales Thema in allen meinen Filmen. Natürlich ist Liebe das Wunderbarste auf der Welt, aber wir sind nicht auf sie vorbereitet. Wir können das Glück nur für kurze Zeit genießen, weil jeder Belastungen aus seiner Vergangenheit in die Beziehung hineinträgt. Und dann macht uns noch der ungeheure gesellschaftliche Druck zu schaffen: Intoleranz und Gewalt. Das kann ich nicht einfach ausblenden.”

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Es geht demnach vor allem um Diskriminierung von Homosexualität?”

[Léa Pool]: “Natürlich, aber nicht nur. Unter gesellschaftlichem Druck stehen nicht nur Lesben und Schwule. Das Problem haben in bestimmten Kreisen auch junge Männer, die sich in alte Frauen verlieben. Wie Harald und Maude. Oder Weiße, die sich in Schwarze verlieben. Ich bin für die Freiheit der Liebe und Toleranz nach allen Seiten.”

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Demnach wenden Sie sich mit »Lost And Delirious« nicht speziell an ein lesbisches Publikum?”

[Léa Pool]: “Wenn der Film viele Lesben anspricht, freue ich mich, aber ich drehe grundsätzlich nie für eine bestimmte Klientel. Ich weiß, dass ich da eine Ausnahme bin. Mich ärgert es ein wenig, dass Lesben mir oft vorwerfen, keine optimistischen Coming Out-Geschichten zu erzählen. Aber ich sehe mich weder als Pädagogin noch als Missionarin. Lehrstücke interessieren mich nicht. »Lost And Delirious« ist großes Gefühlskino wie »Romeo und Julia«. Es geht um das große Thema Liebe, das alle etwas angeht. Schließlich bin ich nicht Filmregisseurin geworden, um Andere davon zu überzeugen, dass es schöner oder besser sein könnte, so oder so zu leben. Ich halte ohnehin nichts von Schubladen. Mich interessieren durchaus auch Beziehungen zwischen Frauen und Männern, auch darüber habe ich einige Filme gemacht. Ich bin halt nicht dogmatisch."

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Doch auch Shakespeare, der für Sie ein großes Vorbild ist, schrieb Komödien.”

[Léa Pool]: “Ich habe größeren Bezug zu Shakespeares ernsten Dramen und den großen griechischen Tragödien. Pauline ist eine große Heldin wie Antigone oder Jeanne d’Arc. Sie erreicht zwar nicht ihr Ziel, aber sie ist viel stärker als alle anderen, weil sie für etwas kämpft, an das sie glaubt. Mir imponiert es weit mehr, wenn jemand für seine Ideale stirbt, als falsche Kompromisse eingeht. So lebt Victoria nach Paulines Tod zwar weiter, aber ob sie glücklich sein wird, bleibt die Frage. Der Gedanke an ein Happy End ist mir fern, und sind wir doch mal ehrlich: In jeder Hollywoodschnulze empfinden wir es als kitschig."

[Kirsten Liese, Weibblick] “Und dennoch suchen Lesben außerhalb der Heterowelt nach Vorbildern für ihre Identität. In den letzten zehn Jahren haben wir eine Reihe von Produktionen gesehen, in denen zwei Frauen oder Mädchen zueinander fanden. Denken Sie an »When night is falling«, »Two Girls In Love« oder »Better than chocolate«.”

[Léa Pool]: “Wenn Patricia Rozema romantische Liebe unter der Zirkuskuppel inszeniert, ist das ihr gutes Recht. Es ist nur nicht mein Ding. Mich interessieren keine Märchen, und ich fühle mich moralisch nicht verpflichtet, positive Vorbilder zu schaffen. Wer viel in seinem eigenen Leben gelitten hat, kann das auch gar nicht. Die Liebe ist eines der schwersten Dinge im Leben überhaupt. Meine Filme sind sehr autobiografisch, alles, was ich an großem Leid erfahren habe, spiegelt sich darin. Das ist vielleicht eine Art Selbsttherapie oder Überlebensstrategie."

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Das verbindet Sie mit Ingmar Bergman, der in »Fanny und Alexander« psychoanalytisch auf sein Elternhaus blickte. Doch der Vater bleibt bei Ihnen im Hintergrund. Sie konzentrieren sich ganz auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter.”

[Léa Pool]: “Weil die Bindung außergewöhnlich ist. Das habe ich aus beiden Perspektiven erfahren. Mütter und Töchter prägt ein sehr kompliziertes, ambivalentes Verhältnis. Von Geburt an fühlt man sich so nah, doch dann ist das notwendige Abnabeln in der Pubertät für beide Seiten sehr schwierig und schmerzlich. Das beschreibe ich in »Emporte-moi«. Weil Mütter die wichtigste Bezugspersonen für ihre Töchter sind, tut es weh, wenn ein Mädchen sie ganz entbehren muss wie Pauline in »Lost And Delirious«, die bei Adoptiveltern aufwuchs. Von Victoria erhielt sie quasi die erste und einzige tiefe Zuneigung in ihrem Leben. Ohne mütterliche Wärme ist Paulines Selbstwertgefühl sehr angeknackst. Insofern schockt es sie, als sich Victoria plötzlich von ihr abwendet und schlägt wild um sich.”

[Kirsten Liese, Weibblick]: “Als Pauline ihre Liebe gesteht, leugnet sie ihre sexuelle Identität. Sie sagt: »Ich bin nicht lesbisch, ich liebe Tori.« Warum?”

[Léa Pool]: “Sie möchte ihre Liebe nicht definieren. Ihr geht es allein um ihre Gefühle, nicht um ein ideologisches Bekenntnis. Letztlich spielt es doch keine Rolle, auf welches Geschlecht sich das Begehren richtet. Man muss nicht jedem Gefühl einen Namen geben.” "